Lebensbedingungen in den Lagern

Im Rahmen der NRW No-Lager-Aktionstage vom 21.06. bis 27.06. wollen wir als Zusammenschluss der Seebrücke Köln und Balkanbrücke auf die Lagerbedingungen an den EU-Außengrenzen aufmerksam machen.

Seit Jahren prangern wir, die Seebrücke sowie die Balkanbrücke, die desaströsen humanitären Missstände in den Lagern an den EU-Außengrenzen an. Immer wieder erreichen uns in der medialen Berichterstattung Bilder von überfüllten Lagern und brennenden Zelten. Und immer wieder weisen Menschen, die vor Ort unterstützen, auf diese katastrophalen Zustände hin.

Dennoch passiert nichts. Ganz im Gegenteil, die Umstände verschärfen sich. Immer mehr Lager werden zu geschlossen Lagern. Mit um die Lager errichteten Mauern und Zäunen handelt die EU ganz nach dem Motto “Aus den Augen, aus dem Sinn”. 

Wie die Beispiele aus den Lagern in Lipa, an der bosnisch-kroatischen Grenze und Moria auf der griechischen Insel Lesbos zeigen, werden anstelle abgebrannter Lager neue Zeltlager errichtet anstatt dezentrale, humanitäre Unterbringungen zu schaffen.

Wir haben mit betroffenen Personen in den Lagern gesprochen und sie zu ihren Lebensbedingungen befragt:

B. ist 29 Jahre alt und lebt seit Herbst 2019 im Camp auf der griechischen Insel Samos. 

Das Camp auf Samos ist für 680 Menschen ausgelegt, zeitweise lebten dort allerdings über 7.000 Bewohner*innen, aktuell leben dort noch 1.607 Menschen.
(Stand: 20. Juni 21)

Leben in den Lagern unter jeglichen Naturgewalten

“Jetzt im Sommer ist es sehr heiß auf Samos, es kann über 40 C° heiß werden. Wir wohnen in Zelten. Es ist aber gerade so heiß, dass wir uns nicht in unseren Zelten aufhalten können. Wir suchen dann Schutz unter Bäumen oder in den Bergen, wo es etwas Schatten gibt.” 

Menschen in den Camps an den EU-Außengrenzen sind den Naturgewalten schonungslos ausgesetzt. Im Sommer kämpfen sie mit der Hitze, bei Regen mit Überschwemmungen, im Winter mit  Kälte und Schnee. 

“Im Extremfall fallen die Temperaturen in den Minusbereich. Dann bleiben wir die meiste Zeit im Zelt, wir versuchen so viel warme Kleidung wie möglich von den Hilfsorganisationen zu bekommen und wir legen so viele Decken wie möglich über uns, um uns warm zu halten. Wir haben keinerlei Heizmöglichkeiten. Wir haben keinen Strom und somit auch kein Licht im Camp. Es gibt daher auch keine Möglichkeit, unsere Handys aufzuladen.”

Handys sind für Campbewohner*innen jedoch die einzige Möglichkeit, Kontakt zu ihren Familien aufrecht zu erhalten und Nachrichten sowie Informationen aus den Heimatländern zu beziehen. 

Mangelnde Versorgung in den Lagern 

“Will man die Handys laden, muss man einige Kilometer zu den NGOs und Hilfsorganisationen in der Stadt laufen. Dort kann man dann deren Steckdosen benutzen.” 

Die mangelnde Versorgung zeigt sich auch bei der Verpflegung der Campbewohner*innen. Von einer adäquaten Grundversorgung ist man hier weit entfernt.

Auf Samos etwa gab es über ein Jahr lang nicht einmal sauberes Trinkwasser. Ärzte ohne Grenzen musste die Menschen mit Tanklastern versorgen. In anderen Lagern wie in Lipa, ist das Wasser so stark verschmutzt, dass einige Menschen nach dem Trinken Bauchschmerzen bekommen, und selbst Campärzt*innen davon abraten, es zu trinken. 

B. berichtet, dass die Beschaffung von Essen und Trinken einen Großteil des Tages ausfüllt:

Morgens gehen wir unser Frühstück abholen. Wir bekommen Wasser und ein Stück Brot. Normalerweise müssen wir 3-4 Stunden in einer Schlange warten, bis wir unser Frühstück  bekommen. Dann gehen wir wieder zurück in unser Zelt und sind vom Warten schon sehr erschöpft. Dann ist es auch schon wieder Zeit, um das Mittagessen um 13 Uhr abzuholen. Oft können wir das Essen aber nicht essen, weil es  schlecht geworden oder schimmlig ist, da es aus Athen gebracht wird.”

Warten spielt überhaupt eine große Rolle im Campalltag. Stundenlanges Anstehen in der Essensschlange, jahrelanges Warten auf einen Asylbescheid – das Leben wird zu einem Ausharren in Wartestellung ohne Hoffnung auf Veränderung. 

 “Waiting here made me lose weight, overthinking, insomnia and headaches, all of this kills me every day Feeling frustrated, lonely and without work, just waiting and waiting I just want to protect myself”. R. zählt als junge Frau zu einer der vulnerabelsten Gruppen, für die das Leben im Camp besonders hart ist. Für sie gibt es keinerlei Privatsphäre und keine Möglichkeit des Rückzugs. “There were more than twenty families in the caravan. There was no air and the smell made the person lose consciousness. The bathrooms were mixed and the guys were jumping in the bathrooms to see the girls. We can’t sleep because of the noise because the divider is only a cloth between each family, there is no privacy and our things are always exposed to theft.”

 Vulnerable Person sind einem ständigen Gefühl der Unsicherheit im Camp ausgesetzt. So sagt R.:

“There are girls who were raped and there are girls whose photos were published in inappropriate ways”. Trotz der Anwesenheit und Kenntnis der Polizei und staatlicher Akteur*innen über Missbrauch gibt es keinen Schutz für Betroffene. 

Neben Frauen zählen insbesondere Kinder, ältere Menschen, Personen mit Behinderungen und Menschen die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verfolgt werden, zu den Gruppen, die eines besonderen Schutzes bedürften. Sie sind den Gegebenheiten ausgeliefert und haben keine Chance, der Situation zu entfliehen.

Isolation

Die nächsten Städte und Dörfer sind meist weit entfernt, was den Zugang zu Supermärkten, Krankenhäusern und Hilfsangeboten erschwert. Diese Abgeschiedenheit führt zu einer ungewollten Isolation der Bewohner*innen und zu einer verstärkten Einschränkung der Bewegungsfreiheit, der Zugang zu öffentlichem Leben außerhalb des Lagers wird verwehrt. B. erzählt:

“Es gibt sehr viele Polizisten im Camp, die die Zahl der Menschen, die das Camp verlassen und in die Stadt gehen wollen, beschränken. Man muss immer seine Ausweisdokumente zeigen, wenn man einmal runter in die Stadt möchte.” 

Auch für Campbewohner*innen in Lipa wird die Anbindung an das öffentliche Leben an Strukturen außerhalb des Camps sehr erschwert. So wurde die Busverbindung zwischen Bihać nach Lipa eingestellt. Zu Fuß ist das eine Strecke von 6 Stunden. 

Gesundheit 

Diese Isolation führt zu enormen psychischen Belastungen unter den Menschen. In den Jahren 2019-2020 hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in den psychologischen Kliniken auf Lesbos, Samos und Chios insgesamt 1.369 Patienten behandelt. Viele zeigten schwere Krankheitsbilder wie eine posttraumatische Belastungsstörung. 180 Menschen, davon zwei Drittel Kinder, mussten wegen Selbstverletzungen und Suizidversuchen behandelt werden. Das jüngste Kind war sechs Jahre alt. Ärzte ohne Grenzen berichtet, wie sehr die Campbewohner*innen unter der dauerhaften Belastung und der mangelnden Gesundheitsversorgung leiden. Die Organisation muss in den Lagern teilweise die medizinische Grundversorgung übernehmen. 

Bilder von Müllbergen und im Dreck spielenden Kindern sind uns aus der Berichterstattung bekannt: 

“Wegen der schlechten hygenischen Bedingungen gibt es viele Probleme hier, so gibt es im Camp z.B. sehr viele Ratten.” Oder wie R. es ausdrückt: “They [the police] told us that you are refugees, but the place is not suitable even for mice.” 

Gewalt 

Die perspektivlose Situation, das ständige Warten und das Leben auf engstem Raum birgt Konfliktpotential, wodurch es zu alltäglichen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Campbewohnerinnen und der Polizei sowie Campbewohner*innen untereinander kommt. Es kommt zu ungerechtfertigten Geldstrafen und willkürlichen Verhaftungen.  

Inbesondere junge Menschen entmutigt die vollkommene und absolute Perspektivlosigkeit. “

Man kann sagen, das Leben im Camp ist wie ein langsamer Tod. Ohne Studium, ohne Zukunft, ohne Arbeit”,

beschreibt M., 22 Jahre, seine aktuelle und nun seit eineinhalb Jahren andauernde Lage. 

R. fasst ihr Leben im Camp so zusammen:

“From the first day when the police took us to the camp when we arrived by the belim from Turkey, we did not expect this to be what the camp looked like for refugees. My life became full of loneliness, tension and fear.”

Quellen: